Auf dieser Seite werden demnächst PDFs zum Herunterladen verlinkt: Checklisten zur Unterrichtsvorbereitung, Beschreibung von Methoden und Übungen, Ablaufpläne für Unterricht (z. B. für 90-120 Minuten).
Herausforderungen für den Unterricht von Deutsch als Fremdsprache bei Geflüchteten:
- – Nötig ist überwiegend ein einsprachiger Unterricht in der Zielsprache Deutsch
- – Wenige Erklärungen möglich, da nur wenig gemeinsame Sprachen zur Verfügung stehen
- – Übersetzungs-Apps funktionieren 1 zu 1 ganz gut, aber schlecht vor einer Lerngruppe
- – Überwiegend ehrenamtliche Lehrkräfte ohne fachliche Qualifikation, evtl. sogar ohne Lehr-Erfahrung
- – Gemeinsame Lehrplan-Entwicklung von Ehrenamtlichen für die jeweilige Lerngruppe ist für Laien kaum leistbar (zeitlich und inhaltlich)
- – Je komplizierter den Ehrenamtlichen die Vorbereitung für ihren Deutschunterricht erscheint, desto weniger sind sie motiviert, es einfach mal zu versuchen
Mögliche Lösungen dafür:
- – Hoch interaktiv arbeiten: einüben statt erklären
- – Vokabeln verwenden, die wirklich gebraucht und täglich genutzt werden
- – Team-Teaching, so dass weniger erfahrene Ehrenamtliche sich einarbeiten können
- – Den Lernenden weiterhin zutrauen, dass sie eigenständig mit YouTube, Vokabel-Apps und Übersetzer arbeiten
- – Priorität setzen für funktionales Deutsch (anstatt Standard-Hochdeutsch)
Funktionales Deutsch (Funktionsdeutsch) – was ist das?
- – Schwerpunkt auf Verständigung, also gelingende Kommunikation
- – Vokabeln und Dialoge sind wichtiger als Grammatik
- – Unterrichtsschwerpunkt ist der Sprachgebrauch, nicht die Struktur der Sprache
- – Unterricht und Materialien fördern das eigenständige Lernen
- – Lerninhalte in Modulen, nicht in aufeinander aufbauenden Lektionen
Warum der Sprachunterricht für Geflüchtete in Deutschland so ein Problem ist:
- Wir haben eine zu starke Ausrichtung der Lernziele auf korrektes Standard-Hochdeutsch. Die Lernziele sind zu anspruchsvoll und zu wenig an praktischen Gegebenheiten ausgerichtet. Viel zu viel Zeit z. B. wird auf Erklärungen der 4 Fälle bei der Deklination verwendet, obwohl das für die Verständigung nicht zwingend nötig ist. In die Schule, in der Schule – wozu!? Die sogenannte Kanak Sprak zeigt uns seit Jahrzehnten, dass man sehr wohl Automechaniker oder Friseurin werden kann, auch wenn man „ich geh Aldi“ sagt oder „bringst du Kaffee“. Wir sollten unsere Ansprüche an die Lernziele mäßigen.
- Sprache transportiert Identität, aber Sprache ist nicht Identität, sondern Verhalten. Der Versuch, Einwanderer „einzudeutschen“, indem sie über viele Jahre und mit langen Wartezeiten mühsam Standard-Hochdeutsch erlernen sollen, ist eine volkswirtschaftlich sinnlose Energieverschwendung, ganz zu schweigen von den bedrückend langen Wartezeiten auf die knappen Kursplätze.
- Der Sprachunterricht für Geflüchtete ähnelt immer noch viel zu sehr dem Fremdsprachenunterricht an deutschen Gymnasien, inklusive internationaler Lautschrift bei den Vokabeln. Alphabetisierung wird absurder Weise angegangen mit Anlauttabellen auf Deutsch – dabei können diese nur funktionieren, wenn die Lernenden die Muttersprache bereits beherrschen. Ein „Überraschungs-Ei“ neben dem Ü ist vollkommen unverständlich für jemanden, der diesen Gegenstand nicht kennt. Das Lehrmaterial muss an die Sprachkenntnisse und Fähigkeiten der Lernenden anknüpfen. Wir alle produzieren Laute mit Lippen, Zähnen, Zunge und Kehle. Wir müssen mit Begriffen beginnen, von denen die Lernenden bereits wissen, wie man sie ausspricht – z. B. die Vornamen aller Teilnehmer*innen in der Lerngruppe.
- Der natürliche Spracherwerb funktioniert durch Nachahmung. Deswegen lege ich nach wie vor Wert darauf, dass ich immer Standard-Hochdeutsch spreche. Wer Interesse an Grammatik hat, soll dazu auch Unterricht erhalten. Dafür würde ich allerdings gesonderte Stunden einrichten. Für alle, die einfach nur funktionales Deutsch lernen wollen, liegt der Schwerpunkt aber nicht auf Grammatik, sondern auf Erfolgserlebnissen der Lernenden bei der Umsetzung. Die Mehrheit der Geflüchteten braucht funktionales Deutsch – und zwar schnell.
- Die vorhandenen Lehrbücher fördern zu wenig, was die Lernenden selbst leisten können, z. B. mit YouTube, Vokabel-Apps und online-Übersetzern. Die Lehrwerke mit online-Material zwingen die Lernenden, exakt nach dessen Struktur vorzugehen. Unser Lehrmaterial sollte Eigeninitiative fördern und Quellenvielfalt unterstützen.
- Der hohe Anspruch bei den Lernzielen hält viele Ehrenamtliche davon ab, sich überhaupt an Sprachunterricht heranzutrauen. Die Lehrbücher haben dermaßen dicht gepackte Inhalte, dass sogar den Laien sofort klar wird, wie wenig man auf diesem (!) Weg mit 2 Unterrichtsstunden pro Woche erreichen kann. Nötig wäre das Bewusstsein, dass jede einzelne Stunde Unterricht sich lohnt, wenn sie eine praktische Anwendung der neuen Wörter und Sätze zur Folge hat. Wir können nicht erwarten, dass Ehrenamtliche sich auf Monate hinweg verpflichten, einmal in der Woche Unterricht zu geben. Wir brauchen eine flexible Modularisierung der Unterrichtseinheiten.
- Ehrenamtliche arbeiten oft in losen, informellen Verbünden (wie ich derzeit). Wir sind kein Deutsch-Lehrkräftekollegium und keine Autor*innen, die 50% ihrer Arbeitszeit für Konzepte aufwenden und nur noch 50% fürs Unterrichten Zeit haben. Wir sind keine Schule. Wir brauchen für diese informelle und struktur-arme Arbeit im ehrenamtlichen Sprachunterricht passende und motivierende Konzepte.
Daran arbeite ich.
Persönlicher Kommentar von Vera Naumann